Beraterin im Gespräch über Vorabgewinnausschüttungsbeschluss am Laptop.

Punktuell satzungsdurchbrechender inkongruenter Vorabgewinnausschüttungsbeschluss (BFH vom 28.09.2022, VIII R 20/20)

1. Zusammenfassung und Praxishinweis

Der BFH hat mit Urteil vom 28.09.2022, VIII R 20/20 (Veröffentlichung im BStBl. II ausstehend) entgegen der Verwaltungsauffassung im BMF-Schreiben vom 17.12.2013 (IV C 2 – S 2750-a/11/10001, BStBl. I 2014, 63) zur steuerlichen Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen entschieden.

In der Vergangenheit hat das BMF nur folgende Konstellationen inkongruenter Gewinnausschüttungen anerkannt:

  • Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag nach § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG
  • Abweichender Gewinnverteilungsschlüssel im Gesellschaftsvertrag
  • Klausel zu einer, jährlich zu beschließenden, abweichenden Gewinnverteilung (einstimmig oder durch die beeinträchtigten Gesellschafter)

§ 29 Abs. 3 GmbHG:

Die Verteilung erfolgt nach Verhältnis der Geschäftsanteile. Im Gesellschaftsvertrag kann ein anderer Maßstab der Verteilung festgesetzt werden.
Nun hat die Finanzverwaltung die Auffassung des BFH im neuen BMF-Schreiben vom 04.09.2024 (IV C 2 – S 2742/19/10004 :003) übernommen. Demnach sind inkongruente Vorabgewinnausschüttungen steuerlich anzuerkennen, sofern die Beschlüsse zivilrechtlich wirksam gefasst wurden. Ergänzt wurden die oben genannten Konstellationen daher um die punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüsse über inkongruente Vorabausschüttungen, sofern die Beschlussfassung einstimmig erfolgt ist. Es muss sich um einen Einzelakt ohne dauerhafte Wirkung für die Zukunft (auch nicht begrenzt) handeln. Die inkongruente Vorabausschüttung führt somit nicht zu einem Zufluss von Gewinnanteilen beim beeinträchtigten Gesellschafter, sondern ausschließlich bei dem/den begünstigten Gesellschafter/n.
Zudem wurde das BMF-Schreiben um den Urteilsfall des BFH vom 28.09.2021, VIII R 25/19(Veröffentlichung im BStBl. II ausstehend) ergänzt. Steuerlich anzuerkennen ist somit auch die Einstellung von Gewinnanteilen eines Mehrheitsgesellschafters in die Gewinnrücklagen bei gleichzeitiger Ausschüttung der verbleibenden Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter.
Bei Aktiengesellschaften sind inkongruente Gewinnausschüttungen weiterhin nur bei Vorhandensein eines abweichenden Gewinnverteilungsschlüssels anzuerkennen.
Im neuen BMF-Schreiben sind zudem die Ausführungen zum Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO entfallen.
Die überarbeitete Auffassung der Finanzverwaltung ist in allen offenen Fällen anzuwenden.
Um eine Diskussion mit der Finanzverwaltung über die punktuelle oder dauerhafte Wirkung einer satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttung zu vermeiden, könnte vorzugsweise eine Öffnungsklausel nach § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden (NWB 2023, S. 2889, S. 2894).

2. Sachverhalt

An der K-GmbH waren zu je 50 % der Kläger und die T-GmbH beteiligt. An der T-GmbH war wiederrum der Kläger zu 100 % als Gesellschafter beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag der K-GmbH sah keinen Regelungen zur Gewinnverteilung vor und insbesondere auch keine Öffnungsklausel nach § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG. In den Streitjahren sind von der Gesellschaftsversammlung der K-GmbH einstimmige Beschlüsse zur inkongruenten Gewinnausschüttung an die T-GmbH gefasst worden. Der Kläger hat keinen Anteil am Gewinn erhalten und hat solche nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG in der Einkommensteuererklärung deklariert.

Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Beschlüsse zivilrechtlich nichtig sein und dem Kläger die Einkünfte hälftig zuzurechnen sind (verdeckte Gewinnausschüttung, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) und sodann auf privater Ebene eine verdeckte Einlage in die T-GmbH vorliegt (Erhöhung der AK). Sofern die Beschlüsse zivilrechtlich doch zulässig wären, läge ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vor, welcher zu Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 führt.

3. Urteil

Der BFH stimmte im Ergebnis mit den Ausführungen des FG Münster (Urteil vom 06.05.2020, 9 K 3359/18 E) überein und lehnte die Auffassung der Finanzverwaltung ab.
Die einstimmig gefassten inkongruenten unterjährigen Vorabausschüttungsbeschlüsse (mit Vorbehalt eines ausreichenden ausschüttungsfähigen Gewinns) sind zivilrechtlich wirksam. Zwar verstoßen die Beschlüsse mangels Öffnungsklausel gegen die Satzung der K-GmbH (die gesetzliche Grundregelung des § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG wurde mangels abweichender Regelung materieller Satzungsbestandteil), durchbrechen diese jedoch nur punktuell und sind aufgrund der Einstimmigkeit nicht anfechtbar. Punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse stellen einen Einzelakt dar und ändern die Satzung nicht für die Zukunft. Anders wären satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung (selbst für einen begrenzten Zeitraum) zu beurteilen, welche bei fehlender materieller und formeller Richtigkeit (notarielle Beurkundung, Eintragung im HR) zivilrechtlich nichtig wären. Wie immer ist hier auf den Einzelfall abzustellen.

Vorliegend ist das FG Münster zu der Auffassung gekommen, dass jeder einzelne Beschluss eine neue Willensbildung der Gesellschaft erforderte und sich nur auf die Ausschüttung im jeweiligen Jahr bezog und sich im Abfluss der Gewinnanteile erschöpft (punktuell satzungsdurchbrechend). Der BFH hat offengelassen, ob die Beschlüsse hätten notariell beurkundet werden müssen oder dies entbehrlich sei (im rechtlichen Diskurs umstritten). Dies konnte vorliegend dahingestellt bleiben – aufgrund der einstimmigen Beschlüsse lag keine Anfechtungsberechtigung der Gesellschafter vor. Die Beschlüsse waren somit zivilrechtlich wirksam.

Dem Kläger sind folglich keine Gewinnanteile zugeflossen. Dies schließt systemimmanent eine Besteuerung auf der Ebene des Klägers aus. Der BFH verneinte auch eine generelle Prüfung der Angemessenheit und Fremdüblichkeit, da § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nur auf den tatsächlichen Zufluss von Gewinnanteilen abstellt – dies ist vorliegend nicht erfüllt. Aufgrund der offenen Gewinnausschüttung an die T-GmbH kann nach Auffassung des BFH auch keine verdeckte Gewinnausschüttung an den Kläger vorliegen, da die Ausschüttung auf dem Gesellschaftsverhältnis zwischen der K-GmbH und T-GmbH beruht und gerade nicht auf dem Verhältnis von K und K-GmbH.

Auch ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO wird unter Verweis auf die Prüfkriterien analog einer Öffnungsklausel nach § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG abgelehnt. Ein Fall des § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt vor, wenn eine unangemessene Gestaltung gewählt wird, die zu einem gesetzlich nicht intendierten Steuervorteil führt (Ausnahme: Nachweis nicht steuerlicher Gründe). Das FG und der BFH lehnten das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs im konkreten Fall ab. Für den K ist kein steuerlicher Vorteil entstanden, da die Besteuerung auf seiner Ebene nur bis zur Ausschüttung durch die T-GmbH aufgeschoben ist. Gleichwohl kommt auf Ebene der T-GmbH das Schachtelprivileg nach § 8b KStG zur Anwendung.

Hinweis: Der Urteilsfall und die vorstehenden Ausführungen beschränken sich auf die ertragsteuerlichen Folgen einer inkongruenten Gewinnausschüttung.

Adrian Hirn - freier Mitarbeiter der Tax Call GmbH Steuerberatungsgesellschaft

Adrian Hirn

Steuerberater

Diesen Beitrag teilen