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Bilanzierung von Rückstellungen für Altersfreizeit (BFH vom 05. Juni 2024, IV R 22/22)

1      Zusammenfassung und Praxishinweis

Mit dem Urteil vom 05. Juni 2024 (IV R 22/22) hat der BFH in Übereinstimmung mit der Auffassung des FG Köln (Urteil vom 10. November 2021, 12 K 2486/20) festgestellt, dass Rückstellungen für Altersfreizeit in der Steuerbilanz bereits im Zeitpunkt der Zusage zu bilanzieren sind. Dies gilt selbst dann, wenn aufschiebende Bedingungen, z.B. Erreichung einer Mindestbetriebszugehörigkeit oder Vollendung des 60. Lebensjahres, vereinbart und noch nicht erfüllt sind.

Für die Praxis ist jedoch die trennscharfe Beurteilung der Ansatzkriterien etwaiger Altersfreizeitvergütungen zu beachten.

BFH vom 05. Juni 2024:

  • Maßgebend für die Gewährung der Altersfreizeit ist die Betriebszugehörigkeit.
  • Altersfreizeit wird je vollem Jahr der Betriebszugehörigkeit um zwei Tage erhöht.
  • Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist mit der späteren Gewährung der Altersfreizeit durch den Arbeitgeber verknüpft (Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers, da Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung).

FG Niedersachsen vom 15. Oktober 1987 (VI 59/85):

  • Maßgebend für die Gewährung der Altersfreizeit ist die Branchenzugehörigkeit.
  • Altersfreizeit wird bei Erfüllung der Voraussetzungen pauschal mit 28 Tagen gewährt.
  • Zwischen der Arbeitsleistung und der Altersfreizeit besteht keine Abhängigkeit (kein Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers, da kein Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung).

Wie der BFH in Rn. 42 schlussfolgert sind die beiden Sachverhalte unterschiedlich gelagert, sodass aus unserer Sicht die Grundsätze des Urteils vom 15. Oktober 1987 und des BMF-Schreibens vom 11. November 1999 (BStBl. I 1999, S. 959, Rn. 5 und 12 – 14) weiterhin zu beachten sind.

Für den Ansatz einer Rückstellung für Altersfreizeitverpflichtungen ist daher zwingend auf die Betriebszugehörigkeit abzustellen und so ein Konnex zwischen den Leistungen herzustellen.

2      Allgemein

Rückstellungen für Altersfreizeit (nicht Altersteilzeit) erfahren einer zunehmenden Bedeutung im Arbeitsmarkt. Bei der Altersfreizeit werden dem Arbeitnehmer bei Erreichung eines gewissen Lebensjahres (und ggf. bei Erfüllung weiterer Kriterien) zusätzliche Urlaubstage oder Kürzungen der Arbeitszeit gewährt. Die Regelung kann sich dabei unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag ergeben oder aber aus einem einbezogenen Tarifvertrag.

Handelsrechtlich ist unstrittig, dass für die Verpflichtung eine Ansammlungsrückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB mit dem Zeitpunkt der Zusage grundsätzlich ratierlich zu passivieren ist. Es handelt sich um eine der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit, welche zudem ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag hat. Darüber hinaus muss der Schuldner ernsthaft mit der Inanspruchnahme rechnen. Voraussetzung für den Ansatz ist somit insbesondere der Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern.

Steuerlich geht die Beurteilung der Rückstellung für Altersfreizeit insbesondere auf das Urteil des FG Niedersachsen vom 15. Oktober 1987 und das BMF-Schreiben vom 11. November 1999 zurück. Hiernach sind derartige Rückstellung in der Steuerbilanz dem Grunde nach unzulässig. Anders als in der Ansparphase einer Altersteilzeitverpflichtung bestünde kein Erfüllungsrückstand auf Seiten des Arbeitgebers (mangels Mehrleistung, Frage der wirtschaftlichen Verursachung). Eine Passivierung in der Steuerbilanz ist demzufolge erstmalig im Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahme vorzunehmen. Das FG Köln (Urteil vom 10. November 2021, 12 K 2486/20) und der BFH (Urteil vom 05. Juni 2024, IV R 22/22) kommen zu einem konträren Ergebnis.

3      Sachverhalt

Die Klägerin, eine OHG, gewährte ihren Arbeitnehmern gemäß dem geltenden Tarifvertrag unter folgenden Voraussetzungen für jedes volle Jahre der Betriebszugehörigkeit zwei zusätzliche bezahlte Freizeittage:

  • Zehnjähriger ununterbrochene Betriebszugehörigkeit und
  • Vollendung des 60. Lebensjahres

Auszug aus dem Tarifvertrag:

„Arbeitnehmer, die nach einer mindestens 10-jährigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit das 60. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine zusätzliche bezahlte Freizeit von 2 Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit. Bei Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit werden Zeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. Berücksichtigungsfähig sind nur die tatsächlich zusammenhängenden Jahre der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bis zum Bezug der gesetzlichen Altersrente. Die dem Arbeitnehmer zustehenden Freizeittage sind am Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses und nur vor Eintritt in die gesetzliche Altersrente zu gewähren. Das gilt auch, wenn die Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente nach Arbeitslosigkeit im Anschluss an das bisherige Arbeitsverhältnis erfolgt. Die dem Arbeitnehmer zustehenden Freizeittage sind in natura zu gewähren und zu nehmen. Nicht genommene Freizeittage verfallen, ein Abgeltungsanspruch besteht nicht.“

Zum 31.12.2016 bildete die OHG hierfür eine Rückstellung in Höhe von EUR 337.900. Das Finanzamt verneinte den Ansatz, da es keinen Erfüllungsrückstand erkannte und in der Folge die Voraussetzungen für eine Rückstellung nicht erfüllt waren.

Das FG Köln gab der Klage der OHG statt und sah die Freizeittage als dienstzeitabhängige Verpflichtung an (vergleichbar einer Verpflichtung für Dienstjubiläen). Das Finanzamt legte Revision vor dem BFH ein, argumentierend, dass die Altersfreizeit keine in der Vergangenheit entstandene Verbindlichkeit sei (kein Erfüllungsrückstand, siehe oben). Die Klägerin hielt dem entgegen, dass die Altersfreizeit durch fortlaufende Arbeitsleistung und Betriebstreue erdient werde.

4      Urteil

Der BFH stimmt in seinem Urteil mit der Auffassung des FG Köln überein und sieht die Ansatzvoraussetzungen für eine Verbindlichkeitsrückstellung als gegeben an. Die Bewertung der Rückstellung für Altersfreizeit i.H.v. EUR 337.900 ist zwischen den Verfahrensbeteiligten unstrittig.

Über den Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG gelten die Ansatzvoraussetzungen des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB gleichfalls für die Steuerbilanz. Bei Arbeitsverhältnissen als Dauerschuldverhältnissen ist für die Bilanzierung einer Rückstellung in der Steuerbilanz zu beachten, dass kein Schwebezustand vorliegt (sonst nicht ansatzfähiger Drohverlust), sondern ein Erfüllungsrückstand (hier: auf Seiten des Arbeitgebers) besteht. Andernfalls kommt eine Passivierung nicht in Betracht.

Die Beurteilung des Erfüllungsrückstands hat nach den zivilrechtlichen Begebenheiten zu erfolgen. Daneben ist nach Auffassung des BFH aber auch insbesondere auf die wirtschaftliche Betrachtungsebene abzustellen. Durch die Gewährung der Freizeittage wird Vergangenes (Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der aufschiebenden Bedingungen des Tarifvertrags) abgegolten. Der Erfüllungsrückstand ist der erbrachten Leistung synallagmatisch zweckgerichtet und bei zeitbezogenen Leistungen auch zeitlich zuordenbar (wirtschaftliche Betrachtungsweise). Durch die Arbeitsleistung und die Nichtausübung des Kündigungsrechts (Vorleistung) haben die Arbeitnehmer die Gegenleistung bereits erdient. Der Arbeitgeber befindet sich hinsichtlich der Gewährung der Altersfreizeit hingegen in Erfüllungsrückstand.

Wesentliches Kriterium für den Ansatz der Rückstellung ist zudem, dass der Tarifvertrag die Gewährung der Altersfreizeit von der Betriebszugehörigkeit (nicht Branchenzugehörigkeit) abhängig macht und damit von der Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Rn. 41).

Die Verbindlichkeitsrückstellung ist daher auch in der Steuerbilanz anzusetzen. Dies gilt aufgrund der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme bereits dann, wenn die oben genannten Voraussetzungen des Tarifvertrags durch den Arbeitnehmer noch nicht erfüllt sind (Rn. 39). Die Bildung der Rückstellung erfolgt folglich bereits ab dem Zeitpunkt der Zusage der künftigen Altersfreizeit.

Dem steht aufgrund der Going-Concern-Prämisse (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) auch der vom Finanzamt angeführter Einwand einer möglichen Einstellung des Betriebs in Zukunft nicht entgegen, da dieser Grundsatz über § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für den Ansatz in der Steuerbilanz Wirkung entfaltet. Im Urteilsfall sprechen keine tatsächlichen Umstände gegen die Fortführung der Unternehmenstätigkeit.

Bei dem Ansatz der Höhe nach ist u.a. die Fluktuation als Bewertungskriterium der Rückstellung einzubeziehen. Der Erfüllungsrückstand wird ratierlich über die Betriebszugehörigkeit angesammelt, da für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit zwei Freizeittage gewährt werden. Die Rückstellung ist abzuzinsen. Es gelten darüber hinaus die allgemeinen Bewertungsregeln.

Adrian Hirn - freier Mitarbeiter der Tax Call GmbH Steuerberatungsgesellschaft

Adrian Hirn

Steuerberater

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