Wegzugsbesteuerung – Entfall der Stundungsmöglichkeit für Umzüge ab 1.1.2022 und „vorübergehende Abwesenheit“

Hintergrund

Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die innerhalb der letzten fünf Jahre eine Beteiligung von > 1 % am Kapital der Gesellschaft ausgemacht haben und die im Privatvermögen gehalten werden, unterliegen nach § 17 Abs.  1 Satz 1 EStG der Einkommensteuer. Nach §§ 3 Nr. 40 Satz 1 lit. c), 3c Abs. 2 EStG ist der Veräußerungsgewinn zu 60 % steuerpflichtig. Dies gilt für Beteiligungen an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften.

Infolge des Wegzugs eines solchen Beteiligten droht Deutschland der Verlust des Besteuerungsrechts am Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung, da das OECD-MA regelmäßig dem Ansässigkeitsstaat das entsprechende Besteuerungsrecht zuord

  • 6 AStG fingiert daher im Hauptanwendungsfall im Moment der Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht eine Veräußerung der Beteiligung durch den Ansatz eines fiktiven Veräußerungsgewinns (sog. dry-income).

 

Entfall der Stundungsmöglichkeit durch das ATAD-UmwsG

Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz (ATAD-UmsG) vom 25.6.2021, BStBl. I 2021, S. 2050 hat der Gesetzgeber die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG umfassend reformiert. Sie wurde für Wegzüge ab dem 1.1.2022 insbesondere dahingehend verschärft, dass auch beim Wegzug einen EU-/EWR-Staat keine dauerhafte, zinslose und ohne Sicherheiten zu gewährende Stundung der Einkommensteuer mehr beantragt werden kann. Stattdessen ist nur noch, unabhängig vom Zuzugsstaat, eine Stundung der Steuer über sieben Jahre vorgesehen, für die jedoch in der Regel die Stellung von Sicherheiten vorgesehen ist.

 

Vorübergehende Abwesenheit

  • 6 Abs. 3 AStG a. F. enthielt eine Sonderregelung für eine nur vorübergehende Abwesenheit, die aufgrund der oben genannten Stundungsregelung für EU-/EWR-Fälle vor allem für Wegzüge in Drittstaaten relevant war. Auch § 6 Abs. 3 AStG n. F. enthält eine solche modifizierte Regelung, die nunmehr für sämtliche Wegzugsfälle zu beachten ist. Danach entfällt bei einer Rückkehr innerhalb von sieben Jahren der Besteuerungsanspruch rückwirkend. Zudem kann die Frist für die Rückkehr auf Antrag von sieben um weitere fünf Jahre auf insgesamt zwölf Jahre verlängert werden.

Mit der Rückkehrregelung nach altem Recht hat sich jüngst der BFH befasst.[1] Danach greift die Wegzugsbesteuerung nicht, wenn objektiv eine „nur vorübergehende Abwesenheit“ vorliegt, d. h. auch wenn im Wegzugszeitpunkt keine Rückkehrabsicht glaubhaft dargelegt wurde. Entscheidend ist allein der Umstand, dass der Steuerpflichtige wieder innerhalb des einschlägigen Zeitraums unbeschränkt steuerpflichtig wird und die Anteile in der Zwischenzeit (wie im zugrundeliegenden Sachverhalt) nicht veräußert worden sind. Diese Entscheidung widerspricht dem BMF-Schreiben v. 14.5.2004, Rz. 6.4.1. Der Wortlaut der Norm gibt jedoch aus Sicht des BFH keinen Hinweis zum Zeitpunkt der entsprechenden Willensbildung.

 

Weitere Hinweise

a) Ob für vor dem 1.1.2022 verwirklichte Wegzüge in die Schweiz aufgrund des zwischen ihr und der EU geschlossenen Freizügigkeitsabkommens eine dauerhafte Stundung wie im Fall eines Wegzugs in einen EU-Staat zu gewähren ist, ist vom BFH noch zu klären; die Revision zu einem Verfahren des FG-Baden Württemberg ist derzeit anhängig.[2] Die Finanzverwaltung lehnt dies bislang ab.[3]

b) Befinden sich die Anteile an einer Kapitalgesellschaft in einem inländischen Betriebsvermögen, greift § 6 AStG nicht. Einschlägig ist in diesen Fällen die sog. Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG. Eine Stundung der Steuer ist in diesen Fällen nicht vorgesehen.

c) Abzuwarten bleibt, ob die durch das ATAD-UmsG reformierte Wegzugsbesteuerung mit dem EU-Recht vereinbar ist. Bezweifelt wird dies in der Literatur insbesondere aufgrund des Entfalls der Möglichkeit der zeitlich unbegrenzten, zinslosen und ohne Sicherheiten zu gewährenden Stundung der Steuer in den Fällen des Wegzugs innerhalb der EU/EWR.

 

Sprechen Sie uns gerne bezüglich weiterer kritischer Aspekte der Wegzugsbesteuerung oder im Hinblick auf diesbezügliche Gestaltungsmöglichkeiten an!

 

[1] BFH-Urteil v. 21.12.2022, I R 55719, entgegen Vorinstanz FG Münster, Urteil v. 31.10.2019, 1 K 3448/17 E, EFG 2020, S. 19.

[2] BFH, Az. I R 35/20, folgend auf das Urteil des FG Baden-Württemberg v. 31.8.2020, 2 K 835/19, EFG 2021, S. 20.

[3] BMF-Schreiben v. 13.11.2019, BStBl. I 2019, S. 1212.

Prof. Dr. Dominik Rupp

Steuerberater

Diesen Beitrag teilen