Umsatzsteuerliche Organschaft – Quo Vadis?

Umsatzsteuerliche Organschaft – Quo Vadis?

1 Allgemein

Die umsatzsteuerliche Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG leitet sich aus Art. 11 der MwStSystRL (RL 2006/112/EG) ab. Voraussetzung für das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft sind kumulativ die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers. Dabei ist der Organträger als steuerpflichtiger Unternehmer anzusehen. Die umsatzsteuerliche Organschaft beschäftigt dabei in vielfacher Hinsicht die nationalen Gerichte und wird regelmäßig dem EuGH zur Entscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit der nationalen Regelungen mit dem Unionsrecht vorgelegt. Nachstehend stellen wir Ihnen auszugsweise wesentliche Folgen aus in der näheren Vergangenheit ergangenen Urteilen zur Organschaft vor.

2 Organträger als Steuerpflichtiger

Mit seinem Urteil vom 20. Dezember 2022 (Rs. C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie) bestätigt der EuGH, dass Art. 11 MwStSystRL der obigen Regelung nicht entgegensteht. Somit ist für nationale Zwecke keine fiktive Mehrwertsteuergruppe als Steuerpflichtiger zu bilden. Vielmehr bleibt die bisherige Rechtsauffassung bestehen, nach welcher der Organträger als Steuerpflichtiger zu behandeln ist (umgesetzt in BFH-Urteil vom 18. Januar 2023, Rs. XI R 29/22).

3 Finanzielle Eingliederung

Nach bisheriger Auffassung bedurfte die finanzielle Eingliederung einer Mehrheitsbeteiligung und Stimmrechtsmehrheit (kumulativ). Mit dem Urteil vom 20. Dezember 2022 (s.o.) stellte der EuGH fest, dass diese Regelung nicht mit dem Unionsrechts vereinbar ist. Entscheidend ist vielmehr, dass der Organträger neben der Mehrheitsbeteiligung seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen kann. Nichtsdestotrotz ist die Stimmrechtsmehrheit auch in Zukunft eine wesentliche Ausprägung bei der Betrachtung der finanziellen Eingliederung in den Organträger, ist jedoch bei Bestehen anderer Indizien ersetzbar.

4 Personengesellschaften als Organgesellschaften

Zudem spricht § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG davon, dass nur juristische Personen, d.h. insbesondere Kapitalgesellschaften, Organgesellschaften für umsatzsteuerliche Zwecke sein können. Die Formulierung ist jedoch abweichend hiervon so auszulegen, dass auch Personengesellschaften unter den juristischen Personen zu subsumieren sind (EuGH vom 16. Juli 2015, Rs. C-108/14 / C-109/14, Larentia + Minerva). Dies führte jedenfalls dazu, dass Personengesellschaften mit kapitalistischer Struktur (insbesondere die GmbH & Co. KG) als Organgesellschaften anzuerkennen sind. Voraussetzung war jedoch bislang, dass alle an der Personengesellschaft beteiligten Personen selbst in den Organträger finanziell eingegliedert sind. Dem trat der EuGH mit seinem Urteil vom 15. April 2021 (Rs. C-868/19, M-GmbH) entgegen. Der BFH (BFH-Urteil vom 16. März 2023, Rs. V R 14/21) setzte die Rechtsprechung des EuGH um, sodass auch Personengesellschaften mit einer kapitalistischen Struktur Organgesellschaft sein können, sofern nicht sämtliche Beteiligte in den Organträger finanziell eingegliedert sind (insoweit Aufgabe des BFH-Urteils vom 02. Dezember 2015, V R 25/13). Unklar bleibt, ob auch sonstige Personengesellschaften Organgesellschaft sein können.

Sofern eine betroffene Personengesellschaft sich hierauf beruft und eine Aufhebung der Steuerfestsetzung begehrt, hat gleichwohl der Organträger einen Antrag auf Änderung der ihn betreffenden Festsetzung zu stellen (Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens).

5 Innenumsätze vor dem EuGH

Zwei aktuelle Vorlagefragen beim EuGH (Wiedervorlage der Rs. V R 20/22 durch den BFH) betreffen die sogenannten Innenumsätze zwischen Organträger und Organgesellschaft sowie zwischen Organgesellschaften des selben Organkreises untereinander. Aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 UStG folgt, dass die Unternehmensteile umsatzsteuerlich als ein Unternehmen zu behandeln sind. Demzufolge unterliegen diese innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen zwischen den Unternehmensteilen als nicht steuerbare Innenumsätze nicht der Umsatzsteuer. Etwaige ausgewiesene Umsatzsteuer führt nicht zu den Rechtsfolgen nach § 14c UStG, da lediglich innerbetriebliche Buchungsbelege vorliegen (Ab. 14.1 Abs. 4 UStAE).

Der V. Senat des BFH stellt dem EuGH in seinem Beschluss vom 26. Januar 2023 nun zwei Fragen zur Auslegung der MwStStyRL:

  • Führt die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen nach Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 Richtlinie 77/388/EWG dazu, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer nach Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie unterliegen?
  • Unterliegen entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten besteht?

Der EuGH ist in seiner Entscheidung vom 01. Dezember 2022 (Rs. C-269/20, S/FA T) davon ausgegangen, dass die Organgesellschaft eine entgeltliche Leistung gegenüber dem Organträger erbracht hat. Daher ist nach Auffassung der V. Senats nicht eindeutig, ob solche Leistungen der Steuerbarkeit nach Art. 2 Nr. 1 MwStSystRL unterliegen (1. Vorlagefrage).

Die zweite Vorlagefrage beschäftigt sich konkret mit dem Verlust von Steuersubstrat bei Vorliegen von nicht steuerbaren Innenumsätzen, sofern der Leistungsempfänger bei direktem Bezug der Leistung von einem Dritten nicht oder nur in Teilen zum Vorsteuerabzug berechtigt wäre. Sofern der EuGH dies bejaht, würden zumindest derartige Innenumsätze als steuerbare Umsätze zu behandeln sein. Dies würde dazu führen, dass der Leistende auf seiner Rechnung Umsatzsteuer auszuweisen hat und der Leistungsempfänger selbige nicht abziehen kann. Innerhalb des Organkreises führt die Umsatzsteuer somit zu einer endgültigen Belastung der Leistungsempfängers.

Derzeit ist noch unklar, wie der EuGH die beiden Rechtsfragen beantworten wird und welche Folgerungen die Finanzverwaltung für bereits abgeschlossene Besteuerungszeiträume ziehen wird.

Dagmar Wedeking

Dipl.-Kauffrau, Steuerberaterin, Gesellschafterin / Geschäftsführerin

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